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Wie näht man ein Gefühl?

Mit 19 zog ich daheim aus in meine erste eigene Wohnung und lebte von meinem selbst verdientem Azubigehalt. Vermutlich erinnern sich die meisten von euch an dieses großartige Gefühl endlich unabhängig und selbstständig zu sein. Zu dieser Zeit kaufte ich mir ein Sommerkleid – dunkelblau, fast schwarz mit kleinen weißen Punkten, aus dünnem, flatterhaften Stoff und mit kleinen Volants. Es war für mich der Inbegriff dieses leichten, optimistischen Lebensgefühls. Bestimmt über 10 Jahre war es immer ein Highlight des Sommers endlich wieder dieses Kleid tragen zu können. Irgendwann zerfiel ist regelrecht zu Staub und seitdem erinner ich mich immer mal wieder an dieses Kleid und das Gefühl, dass es mir gab.

Sommerkleid nähen

Der Stoff der Träume

Kürzlich bei selfmade fiel mir genau ein solcher Stoff in die Hände und versetzte mich in der Zeit zurück. Ich kaufte ohne Plan reichlich davon und fing an über einen geeigneten Schnitt zu grübeln. Die wesentlichen Elemente meines altes Kleides:

  • verschlusslos über den Kopf zu ziehen
  • V-Ausschnitt mit schmalen Volants
  • kleine Flügelärmelchen
  • der Rockteil gerade und recht kurz

Auch wenn es damals meinem Gefühl von Leichtigkeit und Optimismus entsprach, so ändern sich eben auch Gefühle und deren Ausdruck.

Heute verbinde ich mit diesen Emotionen mehr. Mehr Kraft, mehr Glück und vor allem darf dieses Gefühl viel mehr Raum einnehmen. ICH darf mehr Raum einnehmen.

Also will ich mehr Volants und mehr Volumen und mehr Vitalität.

Alte Schnitte für neue Kleider

Es gibt einen Schnitt, der für mich schon oft eine gute Basis war und den gewünschten V-Ausschnitt mitbringt. Obendrein Wiener Nähte für leichte Figuranpassung und einen großartigen Rückenausschnitt, der gerade noch BH sicher ist. Betty Sew von Schwalbenliebe habe ich schon mehrfach genäht und sogar bereits einen Patternhack für einen Volant am Ausschnitt erstellt. (Hier zeige ich wie man das wirklich easy selber machen kann.)

Volantkleid nähen

Während ich den Volant per Belegstreifen annähte, stellte ich im Vergleich zu meiner alten Bluse fest, wieviel sauberer und schöner mir das inzwischen gelingt. Man merkt meist gar nicht wie man sich in Details weiterentwickelt. Das Rückenteil hatte ich ursprünglich mittig geteilt zugeschnitten, weil ich mir nicht sicher war, ob mir die Balance zwischen körpernah und über-den-Kopf-zieh-weit gelingt. Nun, es gelang und ich verzichtete auf den Reissverschluss.

Volants Baby!

Erst nachdem ich sicher war, dass ich keinen Reissverschluss im Rücken brauche, schnitt ich den Rockteil zu. Hier verfiel ich auf einen ebenfalls bereits genähten Schnitt: Charlotte von fibremood. Charlotte ist eigentlich ein  Wickelkleid, ich musste also den vorderen Rockteil abwandeln. Ich suchte mir meine vordere Mitte, faltete da einfach den Überschlag weg und platzierte das Teil dann am Stoffbruch. An der Taille maß ich mein bereits fertig genähtes Oberteil aus und passte den Rock daran an. Improvisation als Ausdruck der Leichtigkeit. Den Volant kürzte ich ebenfalls entsprechend, behielt aber dessen schmaler werdenden Verlauf ebenfalls bei. Am Ende also jede Menge üppige Volants.

Das Rockteil wurde mit dem Oberteil verbunden und direkt eine zweite Naht daneben gesetzt, um einen Tunnel in der Taille zu erstellen. Eigentlich wird das Kleid also durch ein Bindeband in der Taille gegürtet aber mir fehlte noch ein kleiner Farbtupfer, daher im Styling dann doch einen farbigen Gürtel ergänzt.

Sommerkleid nähen

Versehentlich andalusisch

Im Ergebnis erinnert mein Kleid stark an andalusische Traditionen und Flamencotänzerinnen. Hatte ich ursprünglich nicht im Kopf, gefällt mir aber ausgesprochen gut! Flamenco ist schließlich ein Tanz, der meist von einer Frau allein getanzt wird und für mich Inbegriff von Anmut und Kraft ist. Nunja und zufällig schreibe ich diese Zeilen in einem spanischen Café bevor ich mich auf den Weg in die Innenstadt Madrids mache. Ich fühle mich nahezu assimiliert, wenn ich doch nur spanisch spräche!

Allein nicht einsam

Ursprünglich war das verlängerte Wochenende in Madrid ein Geschenk für meine Mutter. Leider musste sie kurz vorher absagen. Stornierung nicht ohne massive Verluste möglich und auch keine Freundin zeitlich verfügbar auf die man hätte umbuchen können. Ich sag ehrlich, anfangs war ich wirklich traurig und konnte mich gar nicht richtig der Vorfreude hingeben. Aber als ich am Flughafen stand, schaffte ich es mich von meinen aktuellen Alltagssorgen zu entkoppeln und Tage ganz für mich allein, ohne Verpflichtungen oder Kompromisse so richtig zu genießen. Gleich am ersten Tag trug ich dieses Kleid. Allein wie der Rock beim Gehen um die Beine schwingt und die Volants im Wind mein Dekolleté umflattern gibt mir das Gefühl Königin der Stadt zu sein. GenZ würde sagen:“Main Character Vibes“. Ich spazierte und futterte mich freudig durch Madrid.

Mission completed!

Ein Kleid, dass ein Gefühl von Leichtigkeit und Optimismus trägt.

Allein mit dem Handy Ganzkörperselfies zu machen, ist gar nicht so leicht. Aber ich suchte jeden Tag, in allen meinen neuen Outfits (Spoiler detected) nach Mauervorsprüngen und Treppen, um das Handy halbwegs auf Augenhöhe zu bringen. das letzte Bild stamt aus der Reina Sofia, in der ich neben der berühmten Guernica von Picasso jede Menge weitere Kunst betrachtet habe, von der ich Banause kaum etwas verstand.

Grad rechtzeitig zum Me Made Mittwoch bin ich zurück und kann diese Selfies hier noch einbinden, bevor ich mir die anderen Näherinnen und deren Sommerkollektionen anschaue.

Ich wünsche euch allen einen wundervollen Sommer und immer schön Wasser trinken!

Sam

Comments (10)

Ein richtiges Wow-Kleid und ganz tolle Fotos! Man kann die Energie fast sehen!
LG Elke

Sehr sehr schön ist dein Kleid geworden und ich schon beim ersten Foto dachte ich an Flamenco. Ich kann mich sehr gut an diese luftigen Kleider erinnern, die es in allen Varianten und Längen gab. Bei mir waren sie damals nicht selbstgenäht. Und doppelt schön, dass du jetzt zwei positive Erinnerungen mit dem Kleid verbinden kannst.

Ein wunderschönes Kleid und perfekt in Szene gesetzt – sowohl mit Text als auch Fotos 🙂

Liebe Grüße, Anne

Ich kenne das immer-auf-der-Suche-nach-Selfie-Möglichkeiten gut und oft habe ich dann auch Hemmungen, wenn es zu belebte Stellen sind. Aber vor einiger Zeit saß ich an einem gut gefüllten Platz und ein junges Mädchen erspäte eine Gelegeheit für sich und hat sie ohne sich um eventuelle Zuschauer zu kündigen wahr genommen. Seitdem fühle ich mich dabei tatsächlich befreiter. Deine Bilder zeigen Entspannung und Zufriedenheit, du bist damit also schon weiter als ich.
So ein figurnahes Kleid ohne Reißverschluss? Auf diese Idee wäre ich nie gekommen.
Viel Freude in deinem MVP Kleid.
Grüße, Tina

Hach, was für ein tolles Kleid. Es sieht wirklich nach wunderbarer Leichtigkeit aus.

Danke für die schönen Fotos von Dir und dem Kleid.

Lieber Gruß,
Muriel

Was für ein traumhaftes Kleid, dein Patternhack ist mehr als gelungen. Ich mag die Schnitte von Schwalbenliebe auch sehr.
Liebe Grüße, Katja

Ganz alleine in Madrid – irgendwie cool. Da redet einem niemand rein und frau kann sich nach Herz und Lust treiben lassen und Fotospots suchen. Perfekt.
Genauso perfekt wie dein „Gefühls-Flamenco-Kleid“. Sieht großartig aus an dir und komplett Du.
LG Miriam

Ach was für ein toller Beitrag! Ich liebe die Vorgeschichte und die Geschichte und das Kleid sowieso. Diese selbstkombinierten Schnitte sind doch irgendwie oft die, die einfach am besten zu einem passen. Liebs!

Also das Gefühl nähen ist dir großartig gelungen. Und auch die Unabhängigkeit und das Raum einnehmen wird gut transportiert. Madrid als Fotospot passt auch wunderbar zum Kleid. Und manchmal tut es ganz gut, alleine unterwegs zu sein.
Liebe Grüße, heike

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